Jubiläumsartikel „50 Jahre LG NORD Berlin“ auf LaufReport

Erstellt von Jörg Engelhardt von „LaufReport“ | |   LG NORD

 

Es ist kein Geheimnis, dass die LG NORD Berlin in diesem Jahr ihren 50ten Geburtstag als Leichtathletikgemeinschaft feiert. Leider konnten wir dieses Jubiläum durch das Ausbrechen der Corona-Pandemie im März nicht wie geplant feierlich im Reinickendorfer Rathaus begehen. Wie es sich gehört soll so ein runder Geburtstag aber dennoch feierlich gewürdigt werden. An dieser Stelle sei auf unsere „Jubiläumsschrift 50 Jahre LG NORD Berlin“ verwiesen, die gerade erschienen ist und in der Geschäftsstelle des TF bezogen werden kann. Hier finden sich viele historische Fakten aus der LG-Gründung und das gesamte statistische Material der sportlichen Erfolge der letzten 50 Jahre. Erfreulicherweise hat sich unsere LG im Laufe der Jahre besonders im Laufsport in ganz Deutschland einen Namen gemacht. So kommt es, dass sich mit Jörg Engelhardt ein Redakteur vom Internetportal „LaufReport“ die Mühe gemacht hat unserer LG NORD Berlin ebenfalls einen Jubiläumsartikel zu schenken. Mit dem Einverständnis des Autors wollen wir diesen einfühlsamen Blick von außen hier gerne abdrucken. Die Sichtweise des Autors ist aus der speziellen Perspektive des Laufssports geschrieben und nimmt hierbei exemplarisch die Perspektive der Gegenwart mit fünf Portraits unserer heutigen Protagonisten ein. Eingefleischte Nordler werden vielleicht die Namen großer Akteure der Laufszene wie beispielsweise Holger Böttcher, Laura Suffa oder Marlies Hartlieb aus vergangenen Zeiten vermissen. Diesen sei dringend unsere „50 Jahres-Jubiläumsschrift“ ans Herz gelegt, in der alles chronologisch nachvollzogen wird und auch die anderen Disziplinen der Leichtathletik ausreichend gewürdigt werden. Genießt nun den Jubiläumsartikel von Jörg Engelhardt, der einen reizvollen Blick auf unsere LG von außen zeigt.

Die Anpassung ist ein eigenes Lehrfach; der Intelligentere bringt es darin weiter, der Widerstrebende ist ein Problem der Ärzte und Psychologen.

Bertolt Brecht ( * 1898 - † 1956 ) 

Nun mögen LaufReport-Leser*innen sich bei dieser Einleitung die Frage stellen, was denn bitte dieses Zitat, des weltbekannten Schriftstellers, Librettisten und Dramatikers, das aus seinem wirtschaftspolitischen Brevier "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" stammt, in einem Fachjournal zu suchen hat, das sich vordringlich der Abbildung des facettenreichen Laufsports widmet? Genaugenommen eigentlich nichts. Dennoch hat der in Augsburg geborene und in Berlin verstorbene Poet mit diesem Satz unbeabsichtigt ein Zitat geschaffen, was nicht nur gut zu dem Anlass passt, der ausschlaggebend für die Entstehung dieser nunmehr folgenden Zeilen ist, sondern obendrein auch noch einige Charakterzüge der Personen wiederspiegelt, die im folgenden Text stellvertretend für alle sportlich Aktiven, der hier und heute zu würdigenden Startgemeinschaft in den Mittelpunkt des nunmehr folgenden Portraits gerückt werden. Doch nicht nur die Charakterzüge der noch vorzustellenden Protagonisten finden in Brechts kurzer Abhandlung über den Prozess der Anpassung ihren Niederschlag, sondern zumindest in drei von fünf Fällen auch ihr berufliches Tätigkeitsfeld, welches sie jetzt schon teilweise und irgendwann nach Abschluss ihrer Karriere als Hochleistungssportler dann auch vollständig in Beschlag nehmen werden. Zudem war der genannte Literat auch noch Wahl-Berliner, was zumindest auf zwei der nunmehr vorzustellenden Personen zutrifft und zusätzlich auch noch den Ort der Handlung dieses Beitrags definiert. Denn neben einer angehenden Ärztin und zwei künftigen Psychologinnen, werden auch noch ein ausgebildeter Facherzieher für Bewegungs- und Leibesübungen (im Volksmund: Sportlehrer), sowie ein im Werden befindlicher Naturwissenschaftler, der sich dem weiten Feld der Biochemie verschrieben hat, im Fokus des folgenden Textes stehen. Auch das passt irgendwie, denn auch die Biochemie liefert durch ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit Grundlagen für die Herstellung von Medikamenten, die der Berufsstand der Mediziner*innen seinerseits dann wieder an seine Patienten weitergibt. Zu guter Letzt könnte man eben dieser Personengruppe der Patienten auch den Status des im Einführungszitat benannten Widerstrebenden zubilligen, wenn man es denn wollte. Doch das will diese Festschrift in diesem Moment noch nicht. Stattdessen unternimmt sie eine Zeitreise, zurück in das Jahr 1970. Neben sehr einschneidenden Geschehnissen in der Politik: Man denke nur einmal an den Kniefall des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Berlin und damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt vor dem Gedenkstein des Warschauer Ghettos, hat der Auftakt in das 8. Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auch im Sport so einiges zu bieten. Der Deutsche Sportbund startet die "Trimm Dich"-Bewegung. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft belegt bei der WM in Mexiko nach einer unglücklichen 3:4 Niederlage gegen Italien im Halbfinale den 3.Platz, während Brasilien zum dritten Mal Fußballweltmeister wird. Der österreichische Formel 1 Rennfahrer Jochen Rindt verunglückt im Training zum Großen Preis von Italien in Monza tödlich und wird dennoch Weltmeister, weil sein großer Punktevorsprung nicht mehr eingeholt werden kann. Der Schwimmer Hans Fassnacht wird in der Bundesrepublik Deutschland zum männlichen Sportler des Jahres gewählt. Bei den Frauen wird die Mehrkämpferin, Sprinterin und Weitspringerin Heide Rosendahl mit diesem Titel ausgezeichnet.Viel entscheidender an dieser Stelle aber ist, das im Norden des westlichen Teils der damals noch geteilten Stadt, die LG Nord Berlin gegründet wird. Auch diese Maßnahme ist letzten Endes ein Produkt der Fähigkeit zur Anpassung an gegebene Mittel und Möglichkeiten. Denn im abgelegenen Bundesgebiet sprießen schon seit 1969 vermehrt die ersten Leichtathletikgemeinschaften aus dem Boden. Vor allem die kleineren Leichtathletikclubs erhoffen sich von den Zusammenschlüssen mit anderen Vereinen aus ihrer jeweils näheren Umgebung einen finanziellen und personellen Entlastungseffekt. Denn der Aufwand an Trainingsarbeit, sowie die bisweilen doch recht kostspielige Anreise zu weit ab gelegenen Wettkampforten, sind für viele Leichtathletikvereine alleine nicht mehr zu stemmen. Zudem sind viele Clubs in den einzelnen Disziplinen an guten und leistungsfähigen Sportlern wie auch Trainern sehr oft unterbesetzt. So macht beispielsweise ein guter 100 Meter Läufer noch keine gute Staffel und gerade bei solchen Wettbewerbsformen konnte eine Fusion ehemals konkurrierender Vereine zu einer Startgemeinschaft neue Erfolgschancen mit sich bringen. Ein Trend also, der auch vor der damals sich in einer politischen "Insellage" befindenden Teilstadt nicht Halt machte. Infolge dessen entschlossen sich also der SC Tegeler Forst aus den Stadtteilen Frohnau, Hermsdorf und Heiligensee im Bezirk Reinickendorf, die Leichtathletikabteilung des BSC Rehberge aus dem ebenfalls nördlich gelegenen Stadtteil Wedding, der seit Auflösung des gleichnamigen Bezirks im Jahre 2001 zum Bezirk Mitte gehört, der TSV Siemensstadt aus dem Bezirk Spandau sowie die Leichtathleten des ASV Berlin, der in Moabit im damaligen Bezirk Tiergarten ansässig ist, zu dieser Fusion.

Die Anfänge sind jedoch alles andere als leicht. Nach nur zwei Jahren Mitgliedschaft in der LG Nord verlässt der TSV Siemensstadt Ende 1971 die Startgemeinschaft wieder, aufgrund von Kontroversen um die Gestaltung einer einheitlichen Wettkampfkleidung. Seitdem machen die drei anderen Vereine erst einmal alleine weiter. Den ersten Deutschen Meistertitel sollte es aber schon 1971 durch Monika Krolkiewicz vom ASV im Hochsprung der weiblichen Jugend U15 (damals Schülerinnen A) zu feiern geben. Es folgte 1973 der Titel von Silvia Kuhn, Angela Wilhelm (beide TF) und Manuela Just (BSC) über 3x800m der U15 mit deutscher Rekordzeit von 6:59min. Ein Jahr später errang die Riege der LG Nord Berlin 1974 in der Besetzung: Birgit Wagener, Sabine Allers, Manuela Just, Elke Ihloff und Anke Niebergall den Deutschen Mannschaftsmeistertitel im Vierkampf der Schülerinnen. Das waren die ersten großen Erfolge der LG Nord Berlin als einheitliches Team, über die damals doch sehr engen Berliner Stadtgrenzen hinaus. Bis heute zählt die Anzahl der Deutschen Meistertitel, der von Athleten der Startgemeinschaft erzielt werden konnte 123 Erfolge. Etwas mehr als 15 Prozent dieser Meistertitel wurden vor der deutschen Wiedervereinigung erzielt, als es noch keine einheitlichen deutschen Meisterschaften gab, sondern Titelkämpfe der BRD und der DDR. Die Summe der Silber- und Bronzemedaillen ist natürlich noch höher. Da kann man schon einmal zum Jubiläum gratulieren, gerade weil die hierfür vorgesehenen Feierlichkeiten dem Coronavirus zum Opfer gefallen sind. Dies gilt umso mehr, als dass das Gros dieser Ansammlung in den Laufdisziplinen angehäuft wurde. Die meisten dieser errungenen Titel- und Medaillengewinne gehen auf das Konto des SC Tegeler Forst, der mit 1200 Mitgliedern als reiner Leichtathletikverein den Löwenanteil aller Erfolge beisteuert. Der BSC Rehberge, der ebenfalls von Anbeginn bis heute der Startgemeinschaft angehört, bringt 130 Athleten ein. Daneben steuert der 1999 in den Vereinsverbund eingetretene VFB Hermsdorf nochmals 250 Athleten zur Startgemeinschaft bei. Zwischen 1997 und 2009 war auch noch der Berliner TSC aus dem Stadtteil Prenzlauer Berg Mitglied der LG Nord und somit auch der einzige Verein im Verbund, der aus einem ehemaligen Ost-Berliner Bezirk gerade zu Beginn seines Beitritts die Wettkampfriege erheblich verstärkte. Der ASV Berlin zog sich 2007 aus dem Vereinsverbund zurück. 

Bei der DHM in Düsseldorf 2008 liefen Jonas Stifel, Carsten Schlangen und Franek Haschke mit 7:08,16min den noch heute gültigen LG Hallen-Rekord über 3x1000m der Männer und wurden zum fünften Mal in Folge (Freiluft und Halle) Deutscher Meister über die Langstaffel (Copyright Hensel)

Selbstverständlich entsandte die LG Nord auch eine Vielzahl ihrer Läufer*innen zu internationalen Großereignissen. Exemplarisch hierfür sollte der 1500-Meter-Läufer Carsten Schlangen genannt werden, der in seiner besten Zeit zwischen 2006 und 2014 alleine in seiner Paradedisziplin über 1500 Meter 6 Deutsche Freiluft-Meistertitel sammeln konnte. In dieser Disziplin feierte er auch den größten Einzelerfolg, den ein Athlet der LG Nord bei internationalen Großereignissen bis heute errungen hat. Er wurde 2010 in Barcelona Vize-Europameister hinter dem Spanier Arturo Casado und erreichte sowohl bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 als auch in London 2012 das Halbfinale. Insgesamt trug er zu 19 Deutschen Meistertiteln bei, denn auch über 3000 Meter in der Halle als auch mit der 3x1000-Meter-Staffel kam er zu nationalen Titelehren. Diese Erfolge in der Staffel errang er übrigens gemeinsam mit Jonas Stifel und Franek Haschke, der seinerseits auch auf drei deutsche Meistertitel über 1500 Meter im Freien sowie zwei weiteren in der Halle verweisen kann. Ein Europameistertitel bei den Junioren auf dieser Distanz aus dem Jahre 1999 rundet seine Titelsammlung ab (Franek Haschke startete aber erst ab dem Jahr 2005 für die LG Nord). Beide haben sich übrigens längst aus dem aktiven Wettkampfgeschehen zurückgezogen und verdienen heute ihr Geld als Architekt (Carsten) beziehungsweise Arzt (Franek)

Martin Ahlburg bei der Ultralauf-WM 2018 (© Copyright Hovmand)

Das ändert aber nichts daran, dass auch nach dem Abtritt dieser Erfolgsgaranten wesentlich jüngere Protagonisten diese Tradition weiterhin fortsetzen. Doch bevor diese Festschrift weitere fünf Skizzierungen in sich vereint, um von den Hoffnungsträgern der Vergangenheit zu den Hoffnungsträgern der Gegenwart zu gelangen, muss sie erst noch darauf verweisen, dass die LG Nord ein sehr erfolgreiches Ultralaufteam unterhält. So konnte zum Beispiel Martin Ahlburg hinter André Collet von der Aachener TG die Deutsche Vize-Meisterschaft über 100-Kilometer bei den letztjährigen Titelkämpfen in Kandel erringen. Zudem errang ebenfalls 2019 das Ultralaufteam der LG Nord in der Besetzung Frank Merbach, Alexander Dautel und Enrico Wiessner den Deutschen Mannschaftsmeistertitel bei den ersten gemeinsamen Deutschen Meisterschaften von DLV und DUV über 50 Km im brandenburgischen Grünheide-Störitz und stellte dabei auch noch einen neuen deutschen Rekord auf. Das Ganze wurde dann auch noch von Almut Dreßler überboten, die bei den gleichen Titelkämpfen die hochfavorisierte Dr. Nele Alder-Behrens hinter sich ließ und so den Deutschen Meistertitel der Frauen gewinnen konnte. Es war auch nicht das erste Mal, dass LG-Athleten an gleicher Stelle einen großen Erfolg feierten. Zuletzt sollte auch in einem eigentlich einzig und alleine auf den Laufsport ausgerichteten Fachjournal nicht vergessen werden, dass die LG Nord auch außerhalb der Laufdisziplinen eine recht ansehnlich hohe Anzahl an Erfolgen zu verzeichnen hat. So gewann zum Beispiel der Dreispringer Raul Spank den Deutschen Meistertitel im Jahre 2015 mit einer Weite von 16,29 m und ein Jahr später konnte sich Hochspringerin Jossie Graumann mit einer Höhe von 1,87 m den Deutschen Meistertitel in der Altersklasse U23 sichern. Auch der Weitspringer Stephan Hartmann steht für mehrere Meistertitel im Jugend- und Juniorenbereich. Doch jetzt wieder weg von den großen Erfolgen der Vergangenheit und hin zu den Hoffnungsträgern in der Gegenwart sowie dem Mann, der sie auf diesem Weg zu ihren bisherigen und hoffentlich auch künftigen Erfolgen begleitet, betreut und wie alle nunmehr vorzustellenden "Aushängeschilder" einmütig betonen, auch geformt hat. Denn wie könnte man das Portrait der Jubilarin in einer angemessen, sie würdigenden Form erstellen, wenn man nicht repräsentativ für alle ihre aktiven Mitglieder, sprich Sportler*innen, Trainer*innen und überwiegend ehrenamtlich tätigen "Funktionsträger*innen" einige wenige besonders erfolgreiche Protagonisten mit ihren erbrachten Leistungen und Verdiensten in das Zentrum der gesamten Darstellung rückt? Alle fünf sind ausgebildete Akademiker und somit auch Vertreter von Forschung und Lehre. Also kann auch dem Autor dieses Beitrags, der lediglich ein abgebrochenes Germanistikstudium mit den ebenfalls "geschmissenen" Nebenfächern Politik und Wirtschaftswissenschaft vorweisen kann, nichts näher liegen, als die nun folgende Präsentation der herausgestellten Persönlichkeiten in einer möglichst "wissenschaftlichen" Form der Arbeit vorzunehmen. Der Titel dieser Abhandlung könnte also auch lauten: "Untersuchung des Erfolges in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer geringen Teilmenge von Leistungsträgern der LG Nord Berlin anhand des literarischen Lebenswerks von Bertolt Brecht.“ Sicherlich klingt das sehr hochtrabend, denn die folgende Vorstellung der sportlich Aktiven und ihres Trainers besteht eigentlich nur aus Skizzierungen, passt aber zumindest zum Wirkungsfeld der vorgestellten Personen, denn die hier verwendeten Zitate sind nach dem bisherigen Kenntnisstand tatsächlich in Berlin entstanden. Ganz genau weiß man das aber nicht, denn der umstrittene und auch nicht von allen geliebte Autor hat einen größeren Teil seines Lebens auf der Flucht vor der deutschen Nazidiktatur in mehreren europäischen Ländern und später auch in den USA verbracht.

"Herr Keuner war für kritische Arbeit, für tätige Vernunft. Er hatte wenig Zeit zum Feiern. Er hielt den Fortgang des Lebens für wichtiger als die Zelebration des Erreichten. Herr Keuner stellte sich nachdenklich den Problemen seiner Zeit." (Brecht)

Diese Zeilen aus dem Kurzgeschichtenband "Geschichten des Herrn Keuner" könnten schon dem Trainer Detlef "Jive" Müller zugedacht sein. Denn er macht auch im Gespräch im Vergleich zu seinen Schützlingen einen eher zurückhaltenden Eindruck. Seine eigenen Verdienste um die sportliche Entwicklung seiner Läufer*innen, schätzt er eher als gering ein. "Das wichtigste sind immer die Athleten, nur wenn die das Können haben und die Bereitschaft, die Vorgaben auch umzusetzen, kann man auch als Trainer erfolgreich sein.". Er muss es wissen. Denn die meisten der von ihm trainierten Aktiven sind nie so weit gekommen wie seine derzeit Besten. Beispiele kennt der Vater von mittlerweile zwei erwachsenen Töchtern auch aus dem eigenen Familienleben. Denn auch die beiden eben erwähnten Kinder haben in ihren jüngeren Jahren den Laufsport mit viel Freude betrieben, sich aber später dazu entschlossen sich davon abzuwenden und ihr Glück im beruflichen Bereich zu suchen. Im Hauptberuf ist der ehrenamtlich tätige Trainer ausgebildeter Facherzieher für Sport- und Leibesübungen, also umgangssprachlich Sportlehrer. Obwohl er selbst nie als herausragender Läufer in Erscheinung getreten ist, hat er es doch sehr schnell verstanden, auch aufgrund seiner pädagogischen Erfahrung im beruflichen Bereich, seinen jugendlichen und auch erwachsenen Athleten den Spaß selbst an anspruchsvolleren Trainingseinheiten zu vermitteln.

Jive-Müller im Trainingslager 1982 in Lacanau (FRA)

Jive Müller Trainingslager 2006 in Porec

Seine Laufbahn als Trainer begann für den Mann vom BSC Rehberge schon Anfang bis Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrtausends. Damals war die Personaldecke an Trainern und Betreuern ziemlich dünn. Also wurde er angesprochen, ob er sich nicht vorstellen könnte im Trainerstab seines Vereins wie auch der gesamten LG tätig zu sein. Er willigte ein und erzielte auch schnell erste herausragende Erfolge. Der von ihm betreute 800-Meter-Läufer Bernd Müller, der auch vom BSC Rehberge kommt, wird in der männlichen Jugend sowohl in der Halle als auch unter freiem Himmel 1985 Deutscher Meister der Bundesrepublik Deutschland und vertritt diese auch bei den kurz darauf folgenden Jugend-Europameisterschaften in Cottbus. Dort holt er sich auch mit der 4x400-Meter-Staffel die Silbermedaille. Dieser Erfolg am Anfang seiner Laufbahn beflügelt den Coach sich selbst stetig weiter zu entwickeln. Denn das stellt er auch unmissverständlich klar: "Ich habe mich stets weitergebildet und auch beim Erwerb meiner Lizenzen gute Ausbilder gehabt.". Hier nennt er zum einen den späteren DLV-Generaldirektor Frank Hensel, der auf seinen vielen Stationen auch mal eine Zeit lang als Landestrainer beim Berliner Leichtathletikverband tätig war, als wichtigen Lehrmeister, sowie Jürgen Mallow, der ebenfalls eine längere Zeit in Berlin als Landestrainer tätig war. Jener Jürgen Mallow, der den bis heute letzten und seinerzeit beständigsten deutschen Weltklasseläufer auf der 3000-Meter-Hindernisdistanz Patriz Ilg zu einem Europa- und auch Weltmeistertitel geführt hat. Unter der Anleitung der Hiergenannten hat er dann auch die A-Lizenz erworben. "Ohne diese beiden hätte ich vor allem in den technischen Laufdisziplinen gar nicht das Wissen, was man braucht um Hindernis- oder auch Hürdenläufer überhaupt trainieren zu können.". Die Trainerkarriere verlief im Übrigen nicht durchgängig. Denn durch die Geburt seiner Töchter hat auch er sich vorübergehend einige Zeit aus dem Trainergeschäft ins Familienleben zurückgezogen. Davor wie danach konnte er immer mal wieder einige seiner Schützlinge zu Titelehren verhelfen, wobei er ab und an auch "schlechtere" Zeiten hinnehmen musste. Seinen Spitznamen "Jive" erhielt er übrigens schon in seiner Jugendzeit, weil er diesen Tanz nach Meinung seiner Freunde, jedoch nicht seiner eigenen Ansicht, meisterhaft beherrschte. Gegenwärtig ist er vor allem mit Topläuferinnen gut bestückt. Unter anderem sind hier Carmen Schultze-Berndt und Luisa Boschan zu nennen, die auch schon zu Deutschen Meisterschaftstiteln und Meisterschaftsmedaillen in den Mannschaftswettbewerben beigetragen haben. Dabei sind diese beiden noch nicht mal die stärksten in seiner Gruppe. Doch bevor es zur Präsentation der Stärksten kommt, widmen wir uns erst einmal dem einzigen jungen Mann in diesem Quartett.

Wissenschaft: Es ist nicht ihr Ziel, der unendlichen Weisheit eine Tür zu öffnen, sondern eine Grenze zu setzen dem unendlichen Irrtum. (Brecht)

1997 wird in Berlin Thilo Brill geboren. Der Sohn von Klaus Brill, der nicht nur gegenwärtig Vorsitzender des SC Tegeler Forst ist sondern zudem auch noch als erster Vizepräsident des Berliner Leichtathletikverbandes amtiert, ist nicht nur der derzeit erfolgreichste Mann in der "TG Jive", sondern zugleich auch der jüngste unter den hier vorzustellenden Akteuren. Als er zur Welt kommt, ist der Verfasser des vorangestellten Gedankengangs über die Wissenschaft schon 41 Jahre tot. Thilo Brill unterdessen lebt weiter für seinen Sport und wird sich wahrscheinlich schon in den nächsten Jahren eben nur noch der Wissenschaft verschreiben. Denn die Chancen für den angehenden Master der Biochemie, der in diesem Fach auch schon seinen Bachelorabschluss in der Tasche hat, in seiner Paradedisziplin, dem 1500-Meter-Lauf, in die nationale, geschweige denn internationale Spitze zu laufen, sind ausgesprochen gering. 

Brill,Thilo-Finish Cross DM 2019 (© Copyright Hensel)

Im Jugend- und Juniorenbereich, dem er bis Ende des letzten Jahres noch angehörte, zählte er viele Jahre zur absoluten deutschen Spitze. Den größten Erfolg in seiner bisherigen Karriere hatte er schon 2014 im Alter von 17 Jahren. In einem stark besetzten Feld konnte er sich bei den Deutschen Jugendmeisterschaften im Wattenscheider Lohrheidestadion gegen starke Konkurrenz durchsetzen und den deutschen Meistertitel über 1500-Meter in der Altersklasse U18 gewinnen. Noch heute schwärmt er von diesem Wettkampf: "Das war das perfekte Rennen." Damals ging er von Beginn an in die führende Position und suchte die Entscheidung von vorne. Robert Blumentritt aus Erfurt hatte genauso das Nachsehen wie der als Favorit gehandelte Lukas Abele (SSC Hanau-Rodenbach). Mit diesem Titelgewinn konnte er die Tradition starker 1500-Meter-Läufer bei der LG Nord weiter fortsetzen. Im folgenden Jahr konnte er diesen Trend nicht bestätigen. Erst 2016 ließ er wieder aufhorchen und sicherte sich in Mönchengladbach hinter Lukas Abele, der zwei Jahre vorher noch mit Bronze Vorlieb nehmen musste, den Deutschen Vize-Meistertitel auf seiner Lieblingsdistanz in der U20. Er erinnert sich: "Das war meine beste Zielgerade, denn in der letzten Kurve lag ich noch auf dem fünften Platz."

Außerdem wurde er in Herten zusammen mit Lennart Mesecke und Felix Buck-Gramcko Deutscher Crosslaufmeister mit der Mannschaft in der Altersklasse U20 und kam im gleichen Jahr sozusagen im Vorprogramm der Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Kassel gemeinsam mit Manuel Walicki und Lennart Mesecke in der 3x1000-Meter-Staffel zu einer weiteren Deutschen Meisterschaft in dieser Altersklasse. Auch an dieses Rennen erinnert er sich gerne. "Wir hatten schon einen Riesenvorsprung, da kam Robert Farken vom SC DHFK Leipzig noch einmal richtig auf. Ich musste schon auf der Schlussgeraden noch einmal alles geben um die Meisterschaft ins Ziel zu retten. Vor allem die Kulisse war toll, das Stadion war schon sehr gut gefüllt und das Publikum in Kassel ging begeistert mit. Schade, dass es ein solches Rennen im Rahmen der letzten Deutschen Meisterschaften bei uns in Berlin nicht gab.". Auch in der U23 ist er an weiteren Deutschen Meistertiteln im Team beteiligt. In Bad Liebenzell holt er bei den Deutschen Meisterschaften im Straßenlauf 2017 gemeinsam mit Lennart Mesecke und Dan Bürger den nächsten Titel. Wiederum zwei Jahre später ist er in der gleichen Besetzung auch bei den Deutschen Crosslaufmeisterschaften in Ingolstadt sowie den Titelkämpfen über 10 Kilometer bei den Straßenlaufmeisterschaften in Siegburg die Nummer 1. Die Motivation parallel zum bevorstehenden Masterabschluss im Studium auch sportlich weiter zu machen sieht er deshalb auch eher auf der nationalen Ebene in den Mannschaftswettbewerben als in den Einzelkonkurrenzen seiner Paradedisziplin. "Wenn ich auch in der Mannschaft nichts mehr erreichen kann, würde ich aufhören. Aber im Moment macht mir das Training noch Spaß und ich fühle mich auch noch fit genug um zu guten Mannschaftsergebnissen beitragen zu können. Aber über 1500 Meter nochmal in die Deutsche Spitze zu kommen, ist schon sehr weit weg und selbst wenn mir das gelänge, würde ich international immer noch weit hinterher rennen.". In seinem Freundeskreis, der zu weiten Teilen aus Nichtläufern besteht, versteht man seinen hohen Trainingsaufwand sowieso nicht, man akzeptiert ihn aber immerhin. Brettspiele mit den Freunden, oder auch einfach nur mal abends mit ihnen ein Bier trinken gehen, sieht er als einen guten Freizeitausgleich zum anstrengenden Sport- und Studienalltag. Ein weiteres Hobby von ihm ist das Segeln, das er an der deutschen Ostseeküste erlernt hat. Für seine berufliche Zukunft wäre das durch die Coronakrise bekannt gewordene Robert-Koch-Institut nach Abschluss seines Studiums ein mögliches Ziel. Mehrere kleinere, gut situierte Unternehmen sind weitere, weshalb er seine Perspektiven nach dem Sport in Berlin gut aufgehoben sieht. Ein weiterer Grund mit dem Leistungssport noch weiter zu machen ist für ihn sein Trainer und auf diesen angesprochen, meint er kurz und bündig: "Ich kann mir keinen Besseren vorstellen.".

"Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte" (Brecht)

Auch wenn sich Bertolt Brecht und Caterina Granz niemals begegnet sind, so beschreibt doch dieses Zitat ganz gut die Vorlieben, aber auch die Lebensgewohnheiten der bislang wohl auch erfolgreichsten Läuferin unter den hier zu Präsentierenden. Nicht, dass Berlin für sie unbewohnbar wäre, ganz im Gegenteil: Sie lebt gerne hier und Natur gibt es in der Hauptstadt auch zu genüge. Gerade im Bezirk Reinickendorf, wo sie geboren und auch aufgewachsen ist, existiert mit dem Tegeler Forst sowie dem Tegeler See ein sehr umfangreiches Naherholungsgebiet mit großen Wald- und auch Wasserflächen. Doch gerne hier leben, heißt für sie seit geraumer Zeit nicht immer hier zu leben. Denn innerhalb der "TG Jive" spielt die vor allem über 1500-Meter sehr erfolgreiche Spitzenläuferin neuerdings eine Sonderrolle. Hat sie sich doch erst im Januar einer internationalen Trainingsgruppe angeschlossen, die mehrmals im Jahr an verschiedenen Standorten in unterschiedlichen Ländern von Thomas Lewandowsky trainiert wird. Von Detlef Müller wird sie lediglich noch betreut wenn sie in Berlin ist. Dank der zeitlichen Ungewissheit über das Ende der Coronakrise könnte das jetzt wiederum noch ziemlich lange dauern. Zuletzt blieb ihre Heimatstadt, zwecks eines Trainingsaufenthalts in Südafrika, von ihr selbst tatsächlich unbewohnt. Was aber weniger mit einer Unbewohnbarkeit der Stadt als solcher zu tun hat, sondern lediglich mit einer sportlich notwendigen Abwesenheit. Hier hat sich Meister Brecht also geirrt. Denn die Schwärmerei für die Natur kommt bei Caterina Granz allein aus der Liebe zur Natur. So fühlt sie sich zum Beispiel mit unserem Nachbarland Österreich sehr verbunden, auch weil ihre Mutter eine Österreicherin ist, und betreibt, wenn sie denn mal wieder dort sein kann, die unterschiedlichsten Aktivitäten. Ob Bergwandern oder Skifahren, in der Alpenrepublik findet sie immer einen gelungenen Ausgleich zu ihrem Alltag als Hochleistungssportlerin und Studentin. Denn auch sie hat mittlerweile einen Bachelorabschluss in Psychologie als Referenz und befindet sich ebenfalls im Mastersstudiengang. Für Letzteren lässt sie sich aber Zeit, weil sie sich mit ihren erst 26 Lebensjahren weiterhin auf die Verbesserung ihrer sportlichen Fähigkeiten ausrichten will. Grund genug dazu hat sie, denn gerade in der jüngeren Zeit hat sie sich endgültig über 1500-Meter in der deutschen Spitze etabliert. In dieser Disziplin war sie allerdings auch schon als Juniorin gut, um nicht zu sagen die herausragende deutsche Läuferin überhaupt. Dabei beginnt auch ihre Karriere erst einmal in einer ganz anderen Sportart. Sie spielt Tennis und auch das mit enormen Erfolg und Fleiß. Sechsmal pro Woche steht sie in dieser Zeit bis zur Vollendung ihres 14. Lebensjahres auf dem Tennisplatz und trainiert eifrig. Auch hier fällt sie schon durch ihr großes Ausdauervermögen auf. Oft spielt sie ihre Gegnerinnen im entscheidenden dritten Satz durch ihre bessere Kondition nieder. In der gleichen Zeit gewinnt sie aber auch bei einem Cross-Wettbewerb der Berliner Schulen über 4 Km und erhält durch eine Tochter Detlef Müllers auch gleich Kontakt zu ihrem künftigen Trainer. Im Jahre 2008 ist es dann soweit. Der Tennisschläger wird zur Seite gelegt und die künftige Laufkarriere in Angriff genommen. Der Aufbau erfolgt behutsam und der Einstieg gelingt über erste 800m-Läufe. Trotz Anfangserfolgen bleibt sie dieser Distanz nicht treu. Sie spezialisiert sich auf die 1500 Meter und wird 2012 Deutsche Meisterin in der Altersklasse U20. Im Folgejahr 2013 kann sie diesen Titel erfolgreich verteidigen. Es dauert dann bis 2016, ehe sie gemeinsam mit Carmen Schultze-Berndt und Fabia Roth die Mannschaftswertung bei den Deutschen Crossmeisterschaften in Herten in der U23 gewinnt. Auch auf der 1500-Meter-Distanz findet sie zu alter Stärke zurück und wird in Wattenscheid erneut Deutsche Meisterin in der U23. Das Jahr 2018 ist dann auch das erste Jahr in ihrer Laufbahn, das ihr erste internationale Erfolge bei den Erwachsenen einbringt. Gemeinsam mit Elena Burkard und Fabienne Amrhein, die mittlerweile Königstein heißt, holt sie bei den Cross-Europameisterschaften in Tilburg (Niederlande) die Bronzemedaille mit der deutschen Mannschaft. Überhaupt steht dieses Jahr ganz im Zeichen des Crosslaufs. Denn zudem erläuft sie sich bei der Cross-DM in Ohrdruf auf der Mittelstrecke die Bronzemedaille und wird gemeinsam mit Deborah Schöneborn und Carmen Schultze-Berndt Deutsche Mannschaftsmeisterin. Über 1500 Meter tritt sie diesmal kaum in Erscheinung, denn bei der Heim-Europameisterschaft in Berlin erreicht sie den Endlauf nicht. Dafür gelingt ihr im Crosslauf der nächste große Wurf. Im schweizerischen St. Gallen holt sie sich den Einzeltitel bei der Studenten-Cross-WM und gewinnt mit der Mannschaft zu der auch Deborah Schöneborn gehört zudem noch die Silbermedaille. Ein erfolgreiches Jahr geht für sie zu Ende und das erfolgreichste auf ihrer Paradestrecke beginnt. Sie qualifiziert sich für die Universiade, den Studentenweltspielen, in Neapel und gewinnt dort über 1500 Meter die Goldmedaille. Damit hat sie bei internationalen Großereignissen für Studierende endgültig die höchsten Weihen erreicht. Denn mehr als ein Weltmeistertitel sowie einen Universadesieg gibt es im Studierendensport ohnehin nicht zu gewinnen. Hier ist sie also schon Weltklasse und dennoch wird die Freude über ihr Universadegold durch die schlechte Organisation und das mangelhafte Zuschauerinteresse getrübt. "Sicher habe ich mich gefreut, aber die Organisation war einfach nicht gut. Die Unterkünfte, der Transport zum Stadion, das war alles sehr chaotisch. Dazu eine schlechte Öffentlichkeitsarbeit und kaum Besucher in einem viel zu großen Stadion. Da hat der ganze Rahmen nicht gestimmt.". 

Cati Granz wird mit großem Vorsprung Deutsche Meisterin in Berlin über 1500m bei den Finals 2019 (© Copyright Neuthe)

Der vor allem auch atmosphärische Höhepunkt ihrer Karriere findet dann wieder zuhause in Berlin statt. Die Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften im Rahmen der German Finals sind zwar nicht völlig ausverkauft, aber mit dennoch deutlich mehr als 30.000 Zuschauern sehr gut besucht. Auch sonst sind die Rahmenbedingungen ganz andere als in Neapel. Der Weg zum erträumten ersten Deutschen Meistertitel im Erwachsenenbereich scheint kein leichter zu werden, denn ihre stärkste Widersacherin Hanna Klein hat über diese Distanz eine noch schnellere Bestzeit stehen. Doch ausgerechnet an diesem Tag läuft es für die leicht favorisierte Schorndorferin, die mittlerweile für LAV Stadtwerke Tübingen startet, nicht. Während Caterina ihre Normalform abruft, tut sich Hanna Klein an diesem Tag ungewöhnlich schwer und bleibt deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Am Ende muss sie sich im Kampf um die Bronzemedaille sogar noch Johanna Christine Schulz geschlagen geben. Gegen Vera Coutellier vom ASV Köln hat Caterina dann keine allzu große Mühe ihren ersten Deutschen Meistertitel im Frauenbereich unter Dach und Fach zu bringen. Sie ist glücklich und vor allem die erste Frau bei der LG Nord, die die Tradition der auf dieser Strecke zumindest national dominierenden 1500-Meter-Läufer fortschreibt. "Das war schon etwas ganz Besonderes, in meiner Heimatstadt vor einer Kulisse, wie es sie bei Deutschen Meisterschaften sonst nicht gibt." Selbstverständlich vertritt sie auch die deutschen Farben bei der Leichtathletik-WM in Doha, scheidet dort aber im Vorlauf aus. Dennoch möchte sie diese Erfahrung nicht missen und arbeitet zusammen mit ihrer internationalen Trainingsgruppe an ihrer persönlichen Weiterentwicklung. Das Jahr 2020 fängt dann auch wieder mit Medaillenehren an. Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig erläuft sie sich über 1500- und 3000-Meter jeweils eine Silbermedaille. Geschlagen wird sie hierbei in beiden Disziplinen von Hanna Klein, die sie bei den Titelkämpfen in Berlin noch hinter sich lassen konnte. Unzufrieden mit beiden Rennen ist sie trotzdem. "Nicht weil ich zweimal gegen Hanna Klein verloren habe, sondern weil die Performance in beiden Rennen deutlich schlechter war, als die Form, die ich kurz zuvor noch hatte. Aber was soll´s, die Halle ist nicht ganz so wichtig. Außerdem kam ich gerade erst aus einem internationalen Trainingslager in Südafrika, das sehr intensiv war und anschließend ist man dann erst einmal platt. Es dauert immer ein bisschen länger, bis der erhoffte Effekt dann auch anschlägt.". Jetzt hätte sie ihrer Meinung nach ihre Form wieder, was ihr aber nichts nutzt, weil die Pandemie erst einmal alle anstehenden Wettkämpfe zunichte gemacht hat. Unterdessen trainiert sie weiter in Berlin, mal ganz alleine, auch mal zusammen mit ihrem Bruder und hofft darauf, dass die wettkampffreie Zeit nicht mehr allzu lange andauert. Beruflich, angesprochen auf die Zeit nach dem aktiven Sport, kann sie sich vieles vorstellen. "Eigentlich wollte ich später mal ganz weg vom Sport und im therapeutischen Bereich arbeiten. Aber da ich selbst mit einer Sportpsychologin zusammenarbeite, merke ich jetzt, dass auch das eine erfüllende Tätigkeit sein kann.".

"Will man Schweres bewältigen, muss man es leicht angehen" (Brecht)

Dieses Brecht-Zitat will die Festschrift Deborah Schöneborn widmen, obschon es auch ganz gut zu ihrer Zwillingsschwester Rabea zu passen scheint. Da aber beide, trotz der engen Verbundenheit, die sie füreinander empfinden, eigenständige Persönlichkeiten sind, müsste man Rabea ein eigenes Zitat zu gedenken. Und schreibt man besser jeweils ein Portrait oder fast man das, was sie ausmacht, in einer Würdigung zusammen? Man entscheidet sich für letzteres, weil die persönlichen Übereinstimmungen bei den Zwillingsschwestern doch größer zu sein scheinen, als das was sie unterscheidet. Doch Unterschiede gibt es natürlich schon und die sollen auch in den folgenden Zeilen zum Ausdruck gebracht werden. Geboren werden beide am 13. März 1994 im rheinländischen Troisdorf, der bevölkerungsreichsten Stadt im Rhein-Sieg-Kreis, die im Süden an die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn und im Norden an der Millionenmetropole Köln grenzt. Somit sind beide auch gerade einmal etwa einen Tag älter als die eben noch hier vorgestellte Caterina Granz. Allerdings ist die sportliche Ausrichtung bei ihnen eine andere. Denn sie sind anders als Caterina, die eher auf kürzeren Distanzen zuhause ist, die Aushängeschilder ihrer Startgemeinschaft sowie ihres Stammvereins SC Tegeler Forst auf den ganz langen Strecken. Auch ihr sportlicher Weg ist zunächst einmal nicht einzig und allein auf das Laufen ausgerichtet. Sie wenden sich erst einmal dem Modernen Fünfkampf zu. Denn vor ihrer Haustür befindet sich mit den Schwimm- und Sportfreunden Bonn ein Verein, der außer für das Schwimmen, vor allem für diese Form des Mehrkampfs als auch für Triathlon eine erste Adresse ist. Dazu kommt vielleicht auch, dass es ihre ältere Schwester Lena in dieser Disziplin zu einer wahren Meisterschaft gebracht hat. Nicht nur das diese sowohl bei Welt- und Europameisterschaften, als auch Olympischen Spielen zu Einzelgoldmedaillen gekommen ist. Nein, sie hat auch noch einen beinahe unzählbaren Satz von Gold-, Silber- und Bronzemedaillen im Team sowie der Staffel bei Welt- und Europameisterschaften angehäuft. Also bleiben auch Deborah und Rabea, von ihren Eltern immer gut gefördert und motiviert, erst einmal dem Modernen Fünfkampf treu und erlangen noch Zuhause auch ihr Abitur. Ihre Mutter umschreibt das so: "Wir haben euch zwar alle sportlich erzogen, aber verrückt geworden seid ihr von alleine." 

Rabea und Deborah Schöneborn Neapel Universiade 2019 (© Copyright Arndt Falter)

Schöneborn-beide (© Copyright Hensel)

Im Jahre 2013 ziehen beide dann gemeinsam nach Berlin, weil sie dort für ihr Studium und ihre Weiterentwicklung im Modernen Fünfkampf die besseren Perspektiven sehen. Doch nach ihrem Ortswechsel stellen sich die Erfolge eher bei reinen Laufwettbewerben ein. Besonders Deborah, die von allen die sie kennen eigentlich nur Debbie genannt wird, überzeugt bei Laufkonkurrenzen. Unter anderem wurde sie, noch im Trikot der SSF Bonn unterwegs, 2016 Deutsche Vize-Meisterin im 10-Km-Straßenlauf der U23. Einen weiteren Erfolg verzeichnete sie mit Schwester Rabea, als sie gemeinsam bei den BIG 25 in Berlin über 10 Km zu einem Doppelsieg kamen. Doch für beide stellt sich schnell heraus, das der Studienalltag, Debbie studiert Medizin und Rabea Psychologie, sich mit den Umstrukturierungen im Trainingsalltag nicht mehr verträgt. Zudem bleiben auch die Erfolge im Modernen Fünfkampf aus. Durch ihr Medizinstudium lernt Debbie eine Tochter ihres künftigen Trainers Detlef "Jive" Müller kennen und wird von dieser wiederum auch gleich an den Vater verwiesen. Im Jahre 2017 sagen die Zwillinge dem Modernen Fünfkampf dann tatsächlich Lebewohl und schlüpfen in das Trikot der LG Nord Berlin. Der erste größere Wettkampf führt beide nach Grünheide-Störitz zu den gemeinsamen 10-Km-Landesmeisterschaften der Länder Berlin und Brandenburg. Dieser Lauf sollte für beide einen großen Motivationsschub bewirken. Debbie meint dazu: "Wir hatten gemeinsam mit unserem Trainer eine mittlere bis tiefe 36er Zeit anvisiert, aber es lief viel besser. Es sind eben nicht immer die großen Rennen, wo es um Deutsche Meisterschaften oder noch mehr geht. Mit diesem Resultat haben wir uns im reinen Laufsport angekommen gefühlt.". Kein Wunder: Denn es läuft noch besser als geplant. Beide laufen synchron wie ein Uhrwerk, dem Rest des Feldes uneinholbar enteilt, nach exakt 35:00min gemeinsam über den Zielstrich und feiern damit nach den 10 Kilometern bei den BIG 25 in Berlin ihren nächsten Doppelsieg. Einmal mehr tritt der "Zwillingseffekt" ein, der sich auch in der Vorbereitung auf diesen Beitrag an anderer Stelle äußert. Befragt man nämlich beide zeitlich und räumlich voneinander getrennt, also in Abwesenheit der jeweils anderen, welches Hobby sie, also nur die jeweils eine hat, antworten beide ohne die Antwort der anderen zu kennen: "Wir kochen und backen gerne, brunchen gerne, und sobald das wieder geht, feiern wir auch gerne Karneval und singen alle Lieder mit." Ganz identisch sind die Antworten trotzdem nicht, denn Rabea ergänzt schließlich noch: "Wir verreisen auch gerne und gehen dabei gerne wandern.". Völlig synchron verläuft dann das Wettkampfjahr aber trotzdem nicht. Debbie gewinnt bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften in Kassel eine Bronzemedaille über 3000 Meter. Zwischendrin wird sie auch noch Vize-Weltmeisterin bei der Studenten-Cross-WM mit der Mannschaft in St. Gallen. Bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften im Straßenlauf, die in Siegburg stattfinden, stehen sie dann wieder gemeinsam an der Startlinie. Debbie läuft zum Titel und Rabea ergattert sich wiederum Bronze. Das Jahr 2018 bringt auch eine zwischenmenschliche Veränderung mit sich. Rabea verbringt einen 6monatigen Studienaufenthalt in den USA, während Debbie ein halbes Jahr lang in Berlin alleine zurückbleibt. Für beide sollte sich diese Trennung als Glücksfall erweisen. Während Debbie in Ohrdruf gemeinsam mit Caterina Granz und Carmen Schultze-Berndt Deutsche Mannschaftsmeisterin im Crosslauf wird, sorgt Rabea in den USA für Furore. Sie bestreitet dort insgesamt sieben Rennen, von denen sie vier gegen starke Konkurrenz gewinnt. Ihre drei Hallenrennen über 3000 Meter und 5000 Meter gewinnt sie allesamt und auch ihr erstes Rennen unter freiem Himmel wird zum Triumph. Im texanischen San Antonio ist sie über 5000 Meter nicht zu schlagen. Auch die folgenden Wettkämpfe, die ebenfalls in San Antonio stattfinden, verlaufen erfolgreich. Über 1500 Meter läuft sie genauso auf den 2. Platz, wie im darauffolgenden 10.000 Meter Rennen. Zum Abschluss ihres erfolgreichen Studienaufenthalts fliegt sie mit einem 3. Platz über wiederum 5000 Meter nach Hause. Mitgebracht hat sie obendrein drei neue persönliche Bestleistungen. Zwei davon über 5000 Meter in der Halle als auch draußen, sowie eine weitere neue Bestzeit über 1500 Meter. Debbie wird unterdessen Deutsche Vize-Meisterin über 10.000 Meter in Pliezhausen, ehe beide dann wieder gemeinsam bei den Deutschen Straßenlaufmeisterschaften in Bremen in der Mannschaftswertung über 10 Km, diesmal mit Luisa Boschan, zu Meisterehren kommen. Dabei läuft Debbie auch im Einzelrennen zur Silbermedaille, während Luisa Boschan mit Bronze ihre erste Einzelmedaille bei Deutschen Meisterschaften holt. Rabea landet dabei in der Einzelwertung auf Rang 10. Neues Jahr – neues Glück. Für Debbie sollte es gleich zu Beginn bei der Hallen-DM über 3000 Meter eine weitere Medaille regnen. Sowohl gegen Constanze Klosterhalfen als auch Alina Reh hat sie zwar keine Chance, aber die Bronzemedaille lässt sie sich nicht nehmen. Rabea unterdessen ruft ihre beste Saisonleistung in einem Einzelrennen beim Paderborner Osterlauf ab. Auf der Halbmarathondistanz ist nur die favorisierte Äthiopierin Besu Sado schneller als sie. Mit 1:14:15 h stellt sie nicht nur eine neue persönliche Bestzeit auf, sondern lässt auch mehrere, höher gehandelte ostafrikanische Läuferinnen hinter sich. Schneller als alle deutschen Männer ist sie an diesem Tag sowieso. Von der Atmosphäre bei Deutschlands ältestem Straßenlauf schwärmt sie noch heute. "Das war auch ein tolles Rennen.". Beide fahren zur Universiade und bestreiten dabei den Halbmarathonlauf. Während Debbie dabei die Bronzemedaille um 28 Sekunden verfehlt, muss ihre Schwester verletzungsbedingt aufgeben und längere Zeit pausieren. Gemeinsam werden sie dann wiederum mit Caterina Granz Deutsche Mannschaftsmeisterinnen im Crosslauf. Zudem feiert Debbie ein gelungenes Marathon-Debut. In Köln lässt sie nur drei Männer vor sich und gewinnt die Frauenkonkurrenz in 2:31:18 h. Mit ihrem Trainer Detlef Müller auf eine Endzeit von unter 2:34:00 h abgestimmt, übertrifft sie diese Zielsetzung deutlich und verpasst zum Einstieg die Olympianorm um weniger als 2 Minuten. Auch 2020 beginnt bis zum Corona-Stopp für beide mit einem Paukenschlag. Beim renommierten Halbmarathon in Barcelona demonstrieren sie wiederum den "Zwillingseffekt". Mit einer Endzeit von 1:11:37 h für Debbie und 1:11:40 h für Rabea stellen sie wiederum neue Bestzeiten auf und werden auf Platz 7 und 8 einkommend, zweit- und drittbeste deutsche Läuferinnen hinter Alina Reh. Auch hier laufen sie nahezu wieder gleich schnell. Debbie meint dazu: "Das ist schon verrückt, ich war bei einem Trainingslager in Kenia und habe lange Umfänge trainiert, während Rabea in Berlin eher kurze, schnelle Einheiten auf der Bahn trainiert hat.". Mit diesem Ergebnis im Rücken wären beide auch zur Halbmarathon-WM nach Polen gefahren, doch diese wurde bekanntlich auf September verschoben und wird wahrscheinlich auch dann nicht stattfinden. Dieses eigentlich tolle Sportjahr wird vom Coronavirus ausgebremst und bringt beide um weitere Entwicklungsmöglichkeiten. Denn zumindest die Qualifikation für die Olympischen Spiele oder auch den Halbmarathon bei den Europameisterschaften in Paris wären mit guten Frühjahrsleistungen noch möglich gewesen. Dazu meint Rabea: "Das ist zwar schade, aber nicht zu ändern, dafür probieren wir jetzt auch alternativ andere Trainingsmethoden aus. Anstatt langer Ausdauerläufe gibt es jetzt auch mal längere Ausdauereinheiten auf dem Rad, weil so viele Kilometer wie auf dem Rad machen wir zu Fuß dann doch nicht und wir lernen auch mal die weitere Umgebung kennen.". Es ist schon beeindruckend mit welchem Optimismus die Geschwister diese ungewisse Zeit angehen. Hierbei hilft ihnen sicherlich die Tatsache, dass auch sie den Hochleistungssport nicht nötig hätten. Debbie ist Medizinstudentin im Praktischen Jahr und schreibt an ihrer Doktorarbeit mit dem Titel "Laborparameterveränderungen beim 160-Km-Lauf". Hierzu hat sie potentielle Teilnehmer am Berliner Mauerweglauf dazu gewinnen können, sich als Probanden zur Verfügung zu stellen. Ziel dieser Arbeit ist es neue Erkenntnisse über Veränderungsprozesse im menschlichen Körper während einer Ultralaufleistung zu gewinnen, um den Menschen dabei zu helfen auch unter einer so hohen Belastung gesund zu bleiben. Rabea wiederum hat ihren Bachelorabschluss in Psychologie mit einem sportpsychologischen Thema abgelegt und arbeitet im Rahmen ihrer Masterarbeit an einem interdisziplinären Projekt. Das Internettool "I know" soll medizinische Erkenntnisse für weibliche Krebspatienten verwerten, die von einer Entnahme der Eierstöcke oder auch einer Brustamputation betroffen sind, um sie für die psychologische Beratung und Betreuung nutzbar zu machen. Die Art und Weise, wie sie das erklärt, lässt einen dann doch noch ein ihr gewidmetes Brecht-Zitat finden.

"Man kann über ernste Dinge heiter und ernst sprechen, über heitere Dinge heiter und ernst" (Brecht)

Rabea Schöneborn macht es aber ganz anders. Sie erklärt ernste Dinge heiter und heitere Dinge nicht ernst.

 

In diesem Sinne: "Herzlichen Glückwunsch, LG Nord Berlin"

Jubiläumsartikel durch Jörg Engelhardt von „LaufReport“ erschienen unter:

www.laufreport.de/portraits/personen/lg-nord-berlin/lg-nord-berlin.htm

 

 

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